Sozialversicherungspflicht des Vertretungsarztes im MVZ

19. Oktober 2020 | von Gabriele Leucht

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.2.2020, Az. L 9 BA 92/18

Mit diesem Beschluss wurde festgestellt, dass ein Vertretungsarzt im MVZ eine abhängige Beschäftigung ausübt. Die Entscheidung ist rechtskräftig, eine Revision wurde nicht zugelassen.

Zum Fall:

Dem Verfahren vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg ging ein sog. Statusfeststellungsverfahren voraus. Dieses Verfahren kam zu dem Ergebnis, dass ein in einem MVZ tätiger Vertretungsarzt eine abhängige Beschäftigung ausübt. Dies hat zur Konsequenz, dass eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und der Arbeitslosenversicherung besteht.

Gegen diesen Bescheid wendete sich die GmbH, welche das MVZ betreibt, und klagte zunächst vor dem Sozialgericht Berlin und sodann vor dem Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg. Die Klage blieb ohne Erfolg, es wurde in zwei Instanzen bestätigt, dass der Vertretungsarzt eine abhängige Beschäftigung ausübt.

Zu den Gründen:

Als erstes Argument für die abhängige Beschäftigung sah das Gericht an, dass der Vertretungsarzt über keine eigene Betriebsstätte verfügt, in welcher er seiner Tätigkeit nachkommt. Vielmehr sei der Arzt in den Betrieb des MVZ eingegliedert gewesen. Ihm seien die Patienten durch das MVZ zugewiesen worden, die Termine wurden ebenfalls vom MVZ vergeben. Dies ist allein schon ausreichend, dass eine abhängige Beschäftigung vorliegt.

Weiterhin habe er sich bei der Festlegung seiner Dienstzeiten an der Raumbelegung orientieren müssen, sodass er diese auch nicht frei wählen konnte. Zudem sei er den Patienten gegenüber wie ein Mitarbeiter aufgetreten.

Eine Weisungsbefugnis der GmbH bestand zwar nicht, dies sei aber der ärztlichen Tätigkeit geschuldet und ändere nichts an der Feststellung der abhängigen Beschäftigung.

Ebenfalls konnte er nicht, z.B. durch die Auswahl der Behandlungsmethoden seinen Verdienst steigern, sondern allein durch die Behandlung von mehr Patienten und einem damit einhergehenden größeren Zeitaufwand. Sein Verdienst sei alleine von der geleisteten Arbeitszeit abhängig gewesen.

Außerdem trug er kein eigenes Unternehmerrisiko. Er musste keine Investitionen machen und auch keine umfangreichen Abrechnungen erstellen. Auch den Einwand, dass das Stundenhonorar des Arztes wesentlich höher war als ein marktübliches Honorar vergleichbarer Beschäftigter, ließen die Richter nicht gelten.

Aus diesen Gründen bestätigten sie die Feststellung der Rentenversicherung und des Sozialgerichts Berlin, dass der Vertretungsarzt im MVZ abhängig beschäftigt ist und Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden müssen.

Unsere Einschätzung: 

Leider kann in der Zukunft nur davon abgeraten werden, Vertretungsärzte auf Honorarbasis zu beschäftigen. Nach den Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Sozialversicherungspflichtigkeit der Honorarärzte (BSG, 4.6.2019, B 12 R 11/18 R) ist diese Entscheidung nur konsequent.

Wir weisen darauf hin, dass für Vertretungsärzte nach § 32 Ärzte ZV, auch wenn diese z.B. nur für einen kurzen Zeitraum die Ärztin/den Arzt vertreten und auch wenn es sich nur um eine Einzelpraxis handelt, wohl nun auch der Sozialversicherungspflicht unterliegen.

Rechtsfolge: 

Hier ist aufgrund der Strafbarkeit der Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen schon die Gefahr inzident, dass ein Ermittlungsverfahren gegen den vermeintlichen Arbeitgeber eingeleitet werden könnte. Die weiteren Rechtsfolgen, wenn trotz dieser Entscheidungen noch Vertreter auf Honorarbasis angestellt werden, sind, dass das Vertragsverhältnis der Nachversicherungspflicht unterliegt. Der Zeitraum für welchen dann Sozialversicherungsbeiträge zu begleichen sind, erstreckt sich auf bis zu vier Jahre. Wird Vorsatz angenommen, was bei freien Mitarbeitern schnell der Fall ist, könnten sogar über einen Zeitraum von bis zu 30 Jahren  Sozialversicherungsbeiträge nachgefordert werden.

Zwar kann vom Vertretungsarzt selbst das zu viel ausgezahlte Honorar zurückgefordert werden (bis zu vier Jahre), wie das Bundesarbeitsgericht letztes Jahr entschied (BAG, Urteil vom 26.6.2019, 5 AZR 178/18) allerdings ist dies -naturgemäß- mit einem sehr hohen Verwaltungsaufwand verbunden.