Abrechnung radiologischer Untersuchungen ohne rechtfertigende Indikation ist Betrug
22. April 2020 | von Silvia LuchtLG Saarbrücken, Urteil vom 19.11.2019, 2 Kls 5/18
Ein Radiologe aus dem Saarland wurde zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr verurteilt, weil er gemeinsam mit seinem zum Zeitpunkt der Verurteilung bereits verstorbenen Kollegen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung CT- und Röntgenuntersuchungen abrechnete, bei denen sie zuvor keine rechtfertigende Indikation gem. § 23 Abs. 1 Röntgenverordnung (RöV) gestellt hatten.
Die Patienten vereinbarten im Regelfall mit dem Praxispersonal einen Termin. Dabei fragten die Mitarbeiter ab, welche Art von Untersuchung benötigt werde (CT oder Röntgen), welches Körperteil betroffen sei und ob die Untersuchung mit Kontrastmittel zu erfolgen habe. Am Untersuchungstag erschienen die Patienten an der Anmeldung und legten dort den Überweisungsschein vor. Sodann füllten sie ein von den Ärzten bereits vorab unterschriebenes Aufklärungsformular aus. Das Praxispersonal fertigte daraufhin die CT- oder Röntgenaufnahme an. Erst nachdem der Patient bereits die Praxis verlassen hatte, wurde dem jeweiligen Arzt die Patientenakte samt Aufnahme vorgelegt und er diktierte seinen Befund.
Die auf vorgenannte Weise durchgeführten Untersuchungen rechneten die Ärzte quartalsweise im Rahmen von Sammelerklärungen ab. Dabei unterzeichneten sie die auf dem Vordruck formulierte Versicherung, die abgerechneten Leistungen persönlich entsprechend den Bestimmungen zur vertragsärztlichen Versorgung erbracht zu haben. Insgesamt erwirtschafteten sie EUR 241.378,05. Die Befunde an sich waren nicht zu beanstanden.
Das Einreichen der unterzeichneten Sammelerklärung wertete das Landgericht Saarbrücken als strafrechtlich relevante Täuschung.
Denn gem. § 23 Abs. 1 RöV darf Röntgenstrahlung unmittelbar am Menschen in Ausübung der Heilkunde oder Zahnheilkunde nur angewendet werden, wenn eine Person nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 hierfür die rechtfertigende Indikation gestellt hat. Dabei erfordert die rechtfertigende Indikation die Feststellung, dass der gesundheitliche Nutzen der Anwendung am Menschen gegenüber dem Strahlenrisiko überwiegt. Die Versicherung der Einhaltung der Bestimmungen zur vertragsärztlichen Versorgung stellte das Gericht über die Präambel zu Kapitel 34 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) her. Denn danach sind die Gebührenordnungspositionen dieses Kapitels nur dann berechnungsfähig, wenn ihre Durchführung unter anderem nach Maßgabe der Röntgenverordnung erfolgt. Nach Ansicht des Gerichts hatten die Ärzte die Kassenärztliche Vereinigung also darüber getäuscht, die radiologischen Untersuchungen in Einklang mit § 23 Abs. 1 RöV erbracht zu haben.
Für den betreffenden Radiologen sprach nach Ansicht des Gerichts unter anderem, dass er vollumfänglich geständig war, die Leistungen an sich erbracht worden sind und diese den Regeln der ärztlichen Kunst entsprachen. Gegen ihn sprach jedoch insbesondere, dass er und sein Kollege die Abrechnung radiologischer Leistungen trotz Verstoßes gegen § 23 Abs. 1 RöV über einen langen Zeitraum praktiziert hatten.
Parallel zum Strafverfahren hatte die Kassenärztliche Vereinigung die EUR 241.378,05 in einem Regressverfahren erfolgreich zurückgefordert. Die Prüfung berufsrechtliche Konsequenzen, insbesondere die Prüfung der Voraussetzungen des Entzugs der Approbation wurden angekündigt.
Fazit:
Das Veranlassen von radiologischen Untersuchungen ohne rechtfertigende Indikation nach § 23 Abs. 1 RöV ist kein Kavaliersdelikt. Zwar ist es nicht notwendig, dass der Arzt den Patienten vor der Aufnahme sieht. Allerdings muss er anhand der Überweisung und der Patientenunterlagen eine Entscheidung treffen, ob in diesem konkreten Fall der gesundheitliche Nutzen der Anwendung von Röntgenstrahlen am Menschen gegenüber dem Strahlenrisiko überwiegt. Nur wenn er diese Frage positiv beantwortet, darf das Praxispersonal die Untersuchung durchführen. Dabei muss er vor der Untersuchung zeitgleich mit dem Patienten anwesend sein. Denn falls Überweisung und Patientenunterlagen nicht aussagekräftig genug sind, muss er Rücksprache mit dem Patienten halten und ihn ggf. auch untersuchen können.
Unabhängig davon bergen vorab unterzeichnete Aufklärungsbögen die Gefahr einer zivilrechtlichen Haftung.