BSG-Urteil zum Sprechstundenbedarf: Existenzbedrohende Regressgefahr für Ärztinnen und Ärzte
02. September 2025Das aktuelle Urteil in Kürze
Mit Urteil vom 27. August 2025 (B 6 KA 9/24 R) hat das Bundessozialgericht entschieden: Fehlt auf einer Sprechstundenbedarfsverordnung die persönliche Unterschrift des Vertragsarztes, ist dies so zu behandeln, als wäre die Verordnung rechtswidrig oder unwirtschaftlich. Im konkreten Fall bestätigte das Gericht einen Regress von fast 500.000 Euro – obwohl die verordneten Medikamente medizinisch korrekt und notwendig waren.
Dieses Urteil sorgt bundesweit für Aufsehen, denn es zeigt: Schon kleinste Formfehler können für Arztpraxen existenzbedrohend sein.
Konsequenzen für Vertragsärzte
Das BSG stellt klar: Ein Stempel oder eine Paraphe reicht nicht aus – die vollständige, eigenhändige Unterschrift oder eine qualifizierte elektronische Signatur sind zwingend erforderlich.
Ein sogenannter „sonstiger Schaden“ entsteht bereits durch den bloßen Formmangel – unabhängig davon, ob die Patientenversorgung korrekt war. Das bedeutet: Die Wirtschaftlichkeit und die medizinische Notwendigkeit schützen nicht vor Regress, wenn die Form nicht stimmt.
Besonders betroffen: Welche Fachärzte müssen jetzt aufpassen?
Die Gefahr betrifft alle Vertragsärzte, die Sprechstundenbedarf verordnen. Besonders im Fokus stehen Fachrichtungen mit regelmäßig hohen Summen und häufigen Verordnungen, dazu gehören insbesondere:
- Hausärzte und Internisten: Impfstoffe, Notfallmedikamente, Verbandmaterialien
- Kinderärzte: Impfprogramme, Infusions- und Notfallbedarf
- Gynäkologen: HPV-Impfstoffe, Kontrazeptiva, Verbrauchsmaterialien
- Kardiologen: Notfall- und Infusionsmedikamente
- Orthopäden und Unfallchirurgen: Verbände, Injektionspräparate
- Dermatologen und HNO-Ärzte: Impfstoffe, Verbrauchsmaterialien
Hier summieren sich die Verordnungen schnell auf hunderttausende Euro pro Jahr – ein Regress kann die wirtschaftliche Existenz gefährden.
Zusätzliche Brisanz: Noch viele Ärzte ohne elektronische Signatur
Besonders kritisch: Noch längst nicht alle Praxen sind technisch auf die sichere elektronische Signatur vorbereitet. Aktuell verfügen über 80 % der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte über einen elektronischen Heilberufsausweis (eHBA).Im Rückschluss bedeutet dies allerdings, dass fast 20 % noch nicht über die Möglichkeit der elektronischen Signatur verfügen. Gerade diese Praxen laufen Gefahr, durch fehlende oder falsche Signatur massive Regressforderungen auszulösen.
Was Ärzte jetzt schon tun können:
Damit Ihre Praxis nicht in die Regressfalle gerät, sollten Sie folgende Maßnahmen sofort umsetzen:
- Praxisinterne Abläufe prüfen: Wer füllt Sprechstundenbedarfsverordnungen aus, wer unterschreibt?
- Nur persönliche Unterschrift oder qualifizierte e-Signatur verwenden – Stempel und Paraphe sind nicht zulässig.
- Formulare regelmäßig kontrollieren
- Mitarbeiter schulen: Medizinische Fachangestellte sollten die neuen Risiken kennen.
- Rechtliche Beratung einholen: Bei Fragen oder Unsicherheiten lohnt sich eine anwaltliche Prüfung, um teure Regressforderungen zu vermeiden.
Fazit:
Das BSG-Urteil zum Sprechstundenbedarf zeigt eindrucksvoll: Formfehler sind kein Kavaliersdelikt, sondern können existenzbedrohend sein. Vertragsärzte aller Fachrichtungen – insbesondere impfende und akutmedizinische Praxen – sollten ihre internen Abläufe sofort überprüfen und anpassen.
Ich berate Sie als Fachanwältin für Medizin- und Arbeitsrecht gerne dabei, Ihre Praxis rechtssicher aufzustellen.